Harald/ November 1, 2017/ Allgemein, Baugeschichte/ 0Kommentare

Mitte der 60er-Jahre sollte in Nürnberg das höchste Wohnhochhaus Europas entstehen. Es sollte auf dem so genannten „Zeltnerhügel“ am Ufer des künftigen Wöhrdersees, unweit der Nürnberger Altstadt errichtet werden. Warum es letztendlich nicht dazu kam, lesen Sie in folgendem Beitrag.

 „Die Deutsche Wohnbau AG will am zukünftigen Wöhrder See einen 42-stöckigen Wolkenkrater errichten. Mit 120 Metern wäre es das höchste Wohnhaus Europas“ schreibt das damalige 8 Uhr Blatt im Frühjahr 1966. „Es wird ohne Zweifel den eindrucksvollsten Blickfang“ auf dem Zeltnerhügel bilden“, ist damals in den Nürnberger Nachrichten zu lesen. Jedenfalls werde das Projekt die Silhouette Nürnbergs einschneidend verändern, so die Nürnberger Zeitung und die DEBA-Verantwortlichen schwärmen vom zukünftigen Ausblick auf die Stadt und auf den „glitzernden See“.

Bald relativiert man den Superlativ, ist doch nur noch von Deutschlands höchstem Wohnhaus die Rede, da in Paris, Stockholm und London bereits höhere vergleichbare Gebäude in Planung sind. Das damals höchste Wohnhaus Deutschlands ist das 73 Meter hohe „Blaue Hochhaus“ in Schweinfurt. Laut Nürnberger Zeitung werde das Scheibenhochhaus am Wöhrdersee von sechsgeschossigen Wohnblocken umbaut und eine Gaststätte, Tiefgarage und Ladenzentrum enthalten. Das genauere Aussehen ist noch nicht festgelegt. Der Baukunstbeirat empfielt hierfür einen Wettbewerb, denn „man kann nicht einfach nur eine Kiste hinstellen“. Einige Fachleute jedenfalls wünschen sich ein solch großes Gebilde gegliedert, etwa nach dem Vorbild des 65 Meter hohen Aalto Hauses in Bremen-Vahr, welches vom finnischen Architekten Alvar Aalto von 1959-61 errichtet wurde.

Baugutachten Professor Hillebrecht

Anfänglich vermeldet die Lokalpresse, „an der Höhe des geplanten Wolkenkratzers gibt es nichts mehr zu rütteln“, da der Stadtrat sein Jawort gegeben habe. Offensichtlich stellen sich bei selbigen allmählich Bedenken ein. Man lässt Fotomontagen verschiedener Ansichten und Modellstudien anfertigen und schließlich beauftragt man Professor Hillebrecht aus Hannover mit einem entsprechenden Baugutachten, das dieser im Februar 67`vorlegt. Hillebrecht gibt ein vernichtendes Urteil über das ambitionierte Projekt ab. Er spricht sich gegen einen primär städtebaulichen Effekt aus, weit wichtiger sei ihm der Wohnwert des geplanten Gebäudes. „Jede andere Funktion eignet sich eher für städtebauliche Effektuierung als die Wohnung.“ Schließlich unterstellt Hillebrecht den Verfassern, das Projekt selbst noch nicht reiflich durchdacht zu haben und kritisiert, dass 125m Bauhöhe als unter verschiedenen Gesichtspunkten her untragbar und ein „bedauerlicher Missgriff“ seien und dies ohne irgendeine Rechtfertigung oder Argumente. Seiner Ansicht nach verbiete sich ein „Missbrauch von Wohnungen zu modischen, zeitgebundenen, reklameartigen Zwecken in monumentalen, dem Wohncharakter widersprechenden Gesamtformen.“

Hillebrecht empfiehlt stattdessen für die Stadt Nürnberg ein grundlegendes Bebauungskonzept, das die gewachsene Silhouette der Altstadt schützt und welchem sich das Bauvorhaben am Zeltnerhügel gerne akzentuierend und gleichzeitig harmonisch einzufügen habe. Demnach sollen die Nürnberger Burg und die Türme der beiden Stadtkirchen St. Sebald und St. Lorenz die „Krone“ der Stadt bleiben. Konkret gesagt fordert Hillebrecht zumindest in Altstadtnähe eine Bauhöhe unterhalb der Turmspitzen der beiden Stadtkirchen, was für den Zeltnerhügel eine Gebäudehöhe von maximal 50m bedeuten würde. Schließlich empfiehlt der Hannoveraner Professor vor Ort die Errichtung eines 1:1- Modells aus Gerüststreben zur realistischen Vorstellung des geplanten Bauvorhabens. Letztendlich fordert er die Ausrufung eines seine Vorgaben bedingenden Wettbewerbs unter wenigen ausgesuchten Architekten.

Eine Forderung Professor Hillebrechts: Der Neubau auf dem Zeltnerhügel soll von der prominenten Burgfreiung aus betrachtet niedriger erscheinen, als der Laufer Schlagturm und die Türme der Egidienkirche. Was daraus wurde, zeigt dieses Foto. Foto: Ralph Zitzelsberger

Kompromiss

Die Deba-Verantwortlichen sind wie zu erwarten nicht einverstanden mit Hillebrechts Einwürfen. Ihnen geht es darum, „auf dem Grundstück eine gefällige und in sich gut gestaltete städtebauliche Dominante“ zu errichten. Nicht zuletzt aus Wirtschaftlichkeit und zur Erhaltung von möglichst viel Grünfläche strebten sie die Errichtung von wenigen und dafür hohen Gebäuden an und halten den Bau von vielen niedrigen Bauwerken „aus Furcht vor der Höhe“ für wenig sinnvoll.

Generell können die Bauherren Hillebrechts Argumentation nicht nachvollziehen. Zwar bestätigen Sie den Wert der Stadtsilhouette, die sie „mit einem gelungenen von Meisterhand geschaffenen Kollier“ vergleichen und deren Eindruck die übrige Stadt „zeitlos unterstreichen“ müsse. Dagegen ist es ihnen „schwer verständlich, dass man den Inhalt, nämlich das Ausstellungsstück mit der mehr oder weniger zweckmäßigen Hülle in Beziehung bringt. Wir sind der Auffassung, dass das am Zeltnerhügel zu errichtende Bauwerk nie in direktem Zusammenhang oder gar als Konkurrenz zur Altstadtsilhouette gesehen werden wird, sondern als wohltuender Kontrast, der den Geist der vielen Jahrhunderte, die zwischen diesen Bauwerken liegen, wirkungsvoll wiedergibt.“ Auch die Errichtung eines 1:1-Modells lehnt man rigoros ab mit der Überzeugung, „dass die Stadt Nürnberg wie auch wir sich selbst ein Armutszeugnis ausstellen würden. Wir glauben, dass weder die Stadt Nürnberg noch wir es nötig haben uns mit so wenig Selbstvertrauen an die Arbeit zu machen. “Schließlich bittet die DEBA die Stadtverwaltung unter Berücksichtigung des Hillebrechtschen Gutachtens um Zustimmung einer Bebauung in doppelter Höhe des vor Ort vorhandenen Schornsteins, sprich der Bauhöhe von 64 Metern.

Letztendlich veranlasst die Stadt Nürnberg einen Wettbewerb zwischen vier ausgewählten Architekten. Der Entwurf von Harald Loebermann bekommt den Zuschlag. Am 27.7. 1967 schreibt die Nürnberger Abendzeitung: „Nürnberg bekommt eine Kleinstadt“. Der damalige Baureferent Heinz Schmeißner wird darin zitiert: „ursprünglich wollten wir dort einmal ein 42 geschossiges Gebäude hinstellen. Nach dem Stuttgarter „Hannibal“-Projekt hatten wir ihm den Namen „Hastrubal“ gegeben. Jetzt haben wir von solch einem Riesen-Haus abgesehen. Wir bauen jetzt nur noch einen Noricus.“

Tut Höhe der Stadt gut?

Vielleicht ist es müßig darüber zu spekulieren, wie es wäre, hätte man das 42-stöckige Gebäude gebaut. Spannend ist die Frage allemal. Würde der Stadt ein solch auffälliger Kontrast zur Altstadtsilhouette gut tun? Um die geplante Höhe des Wohnhochhauses anschaulich zu machen, muss man nur den ähnlich hohen Businesstower betrachten. Tut dieser dem Stadtbild gut? Oder stört er eher den Blick. Von der Altstadt ist der Tower ca. einen Kilometer weiter entfernt, als der Noricus, was die Größenwirkung etwa von der Burgfreiung aus gesehen etwas mildert. Schließlich muss sich jede/r selbst eine Meinung darüber bilden, auch wenn die Entscheidung darüber, wie und auch wie hoch gebaut wird, im Normalfall von der Stadtverwaltung entschieden wird. Offensichtlich hatte das Baugutachten von Professor Hillebrecht jahrzehntelange Gültigkeit: In direkter Altstadtnähe jedenfalls wurden keine die Burg überragende Hochhäuser gebaut.

Der Businesstower, vom Dach des Noricus aus aufgenommen. Mit seinen 135 Metern Höhe ist er um einiges größer als der höchste Noricus-Turm. Foto: Ralph Zitzelsberger

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